Nerds sind plötzlich “in”, aber keiner will sie?

12 Kommentare Autor: Jürgen (jdo)

In letzter Zeit häufen sich (gefühlt) die Beiträge in den Medien, dass Nerds plötzlich “in” sind und dass Unternehmen um die Gunst der Geeks buhlen. Der letzte Beitrag auf den ich gestoßen bin und (vor allen Dingen) dessen Kommentare sind mir aufgestoßen, wurde beim Spiegel veröffentlicht. Anscheinend ist der Fachkräftemangel in der IT doch beachtlich.

Nerds seien Chaoten, die nicht teamfähig sind. Mit Nerds könne man nicht zusammenarbeiten, weil sie dauern auf der Suche nach etwas Neuem sind.

Am Besten war ein Kommentar in der Art: Lass mal einen Nerd 100 PCs installieren und davon sieht dann jeder anders aus. Das wäre bei mir auch so gewesen. Allerdings nur als Rache, dass irgend so ein bornierter Depp meine Zeit mit einer Aufgabe verschwendet hat, die man einem dressierten Affen machen lassen kann (das war damals meine Meinung – nichts gegen Menschen, die sich willentlich für so einen Job entschieden haben!).

Aber Ihr kleinkarierten Korinthen-Kacker habt tatsächlich mit der Annahme Recht, dass wir Nerds Chaoten und dauernd auf der Suche nach etwas Neuem sind. Ich betitle das nur anders. Ich nenne es Neugier, Forscher-Drang, nicht auf der Stelle stehen bleiben wollen, die Zukunft mitgestalten!

Ich bin so dermaßen oft angeeckt und habe mich mit diversen Chefs immer wieder angelegt. Ducken und kuschen? Auf gar keinen Fall – sollen sie ihren Scheiß doch alleine machen! Nein ich habe nichts gegen Arbeiten. Ich krusche verdammt gerne mit Computern rum. Ich sehe auch ein, dass bestimmte Aufgaben notwendig sind, die nicht so viel Spaß machen. Allerdings sollten sich so diverse Manager mal umstellen und ihre Leute nicht als “Human Resources”, sondern als Menschen betrachten – wahrscheinlich ein Wunschdenken meinerseits.

Was die meisten suchen sind keine IT-Fachkräfte, sondern willige Schafe und Herdentiere, die auf Kommando wie Maschinen funktionieren.

Ich hatte mal bei einer Firma als System-Administrator gearbeitet, die dann von einer ganz großen Firma geschluckt wurde. Mein Kollege und ich haben dann noch brav bei der Integration unserer Server in die neue Firmen-Struktur mitgeholfen. Danach wusste man nicht so recht, wohin mit uns – rauswerfen ging aber auch nicht, da Teil der Übernahme Job-Garantie (ein Jahr) war. Somit kam man auf die brillante Idee, uns in den First-level-User-Support zu stopfen. Da klingelt dann das Telefon und man bekommt so spannende Aufgaben/Anfragen wie “mein Scheiß-Drucker geht schon wieder nicht”, “wann kommt jetzt endlich jemand und installiert Access auf meinem Computer” … In meinem Kopf spielte sich ab “Das ist mir so was von scheißegal”. Ich habe mit Support angefangen und mich durch meine Neugier zum Sysadmin hochgearbeitet. User-Support – ein Schlag ins Gesicht. Mein Chef mochte mich auch nicht besonders. Vielleicht hätte ich ihm bei unserem allerersten Treffen nicht sofort ins Gesicht sagen sollen: “Ich habe so was von keine Lust, in Ihrer Abteilung zu arbeiten.”. Nicht der beste Anfang, aber es fühlte sich verdammt richtig an und ich würde es ohne mit der Wimper zu zucken wieder tun.

Irgendwann habe ich dann realisiert, dass ich einfach nicht als Mitläufer in einer Herde tauge. Ich könnte vielleicht wesentlich mehr Geld verdienen – aber ich bin glücklich mit dem, was ich mache. Ich habe inneren Frieden und kann so viel neues Zeug ausprobieren, wie ich will. Ich habe keinen General hinter mir stehen, der mir dauernd über die Schulter guckt und die Peitsche schwingt.

Nerds sind übrigens nicht erst seit dem Fachkräftemangel “cool”. Ohne die Nerds hätte Microsoft mit seinem Internet Exploder immer noch die Internet-Welt fest im Griff. Die “Early Adopter” sind immer zum Großteil die Nerds, weil sie einfach von der Neugierde angetrieben werden. Ohne die Nerds würde die IT-Welt auf der Stelle treten.

Ja, die Nerds und Hacker sind Helden – aber nicht die neuen Helden. Ich verstehe jeden, der keinen Bock auf “9 to 5”- und “Business as usual”-Jobs hat. Vielleicht liegt es ja nicht mal so sehr an den Nerds – vielleicht sollten die Firmen mal anders an die Sache herangehen. Ich weiß ja nicht, wie das in Deutschland mittlerweile gelebt wird, ich habe es nicht mehr mitbekommen und bin vorher schon aus dem grauen Alltag geflüchtet. Allerdings steht eines so fest wie das Amen in der Kirche: Nerds brauchen Freiräume – Zeit zum “Spielen” und “Entdecken”. Dass dies nicht 100 Prozent der Arbeitszeit sein kann, ist auch klar. Ich kann wieder nur von mir ausgehen: Hätte ich bei der großen großen Firma mehr Zeit zum “Spielen” gehabt und nicht irgendwo reingepfercht worden, wäre ich vielleicht immer noch dort. Ich habe es versucht – geschlagene drei Jahre und irgendwann ging es einfach nicht mehr. Warum man mich nicht nach dem Jahr Job-Garantie rausgeworfen hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich kann mir das nur mit einer gewissen Portion an Arroganz erklären: Wenn es nämlich ein echtes Problem gab, dann wussten sich die “Support-Spezialisten” gar nicht mehr zu helfen.

Ich werde nie die Gesichter aus diesem Szenario vergessen (ziemlich genau 13 Jahre her): Es kam jemand mit seinem Notebook, dessen Windows-Installation nicht mehr wollte. Das XP ließ sich einfach nicht mehr starten. Nun wollte man schon anfangen, die Festplatte auszubauen. Ich warf ein, dass man die Daten auch ohne schrauben zu müssen retten kann, sollte die Festplatte physikalisch in Ordnung sein. Es war die Zeit, kurz nachdem die erste Linux-Live-CD, Knoppix, ausgegeben wurde. Ich hab das Ding angeschmissen, eine Netzlaufwerk via Konsole gemountet und die Daten kopiert – die Festplatte war noch in Ordnung. Die haben mich angeschaut, als wäre ich gerade von einem anderen Stern gefallen – tja, Nerd-Power! Das Aufspielen eine neuen Windows-XP-Abbilds habe ich dann wieder den “Support-Spezialisten” überlassen.

An alle Nerds da draußen: Bleibt Euren Prinzipien treu. Irgendwo da draußen ist ein Job für Euch, bei dem ihr Euch wohlfühlt. Die Welt braucht Euch, auch wenn sie Euch belächelt – das dümmliche Grinsen hört sowieso dann auf, wenn die Kisten der Anwender nicht mehr funktionieren. Ich persönlich gehe auf gar keinen Fall zurück in die Tretmühle.

In dem kleinen Kaff hier habe ich auch einen Nerd-Status und die Leute sehen nicht auf mich herab. Ich helfe aber meist auch gerne und lasse mich nicht immer dafür bezahlen – vor allen Dingen, wenn ich Entwicklungshilfe betreibe und den Leuten Linux vorstelle. Die Leute schätzen das und geben mir dafür auch mal das eine oder andere Bier aus. Mit dem Tauch-Center, denen ich einen Linux-Server installiert habe (der einfach läuft und läuft und läuft und sogar eine kleine Zeitmaschine hat), habe ich ein anderes Abkommen – ich kann dort kostenlos Tauchen gehen. Da bin ich übrigens gerade dran, einen Plan für April 2014 zu machen. Die haben auf den vier Office-Rechnern Windows XP. Im April 2014 läuft allerdings die Unterstützung für Windows XP und XP Pro aus. Zwei der Kisten haben nur 512 MByte Arbeitsspeicher, die dritte Kiste ist auch kein Wunder-PC und der vierte Computer ist relativ neu. Derzeit sieht es wohl so aus, dass drei der Rechner auf Linux umgestellt werden und einer auf Windows 7. Der Besitzer hat einige Programme gekauft, die nur unter Windows laufen und die er gerne weiter verwenden würde – er braucht diese aber nur auf einem Computer. Die anderen Rechner sind für Online-Aktivitäten und was weiß ich noch alles. Auf jeden Fall gibt es für drei der Rechner keinen Grund für eine Windows-Installation – das haben wir in Gesprächen so evaluiert. Habe ich kein Problem damit. 75 Prozent Linux und 25 Windows sind wesentlich besser als 100 Prozent Windows. Neue Hardware muss er ebenfalls nicht kaufen.

Der Zeitpunkt ist übrigens perfekt. Im April 2014 kommt auch die nächste LTS-Version von xUbuntu und davon wird es wohl eine werden. Ebenso ist eine Evergreen-Version von openSUSE im Gespräch. Wir werden das vorher mit Live-USB-Sticks testen und dann die richtigen Versionen installieren. Firefox läuft überall. Windows XP ist nach Ablauf der Support-Frist keine Option mehr. Security-Experten warnen jetzt schon davor, dass sich entdeckte Lücken in Windows 7 und 8 möglicherweise auf Windows XP zurückverfolgen lassen. Da es aber keine Security-Updates mehr geben wird …

Da überlege ich mir gerade, was mein damaliger kleinkarierter und unnerdiger Chef gemacht hätte – alles rauswerfen und Windows-8-Rechner kaufen? Bei einer großen großen Firma kann man das vielleicht auch machen. Ein kleines Unternehmen spart sich das Geld aber lieber und hört auch mal auf den Ratschlag des “Nerds”. Vor allen Dingen wenn man die Zeitmaschine des Servers so lieb hat. Zehn Mal reicht nicht, wo sie selbst defekte Outlook-pst- oder Excel-Dateien wieder herstellen konnten. Fairerweise muss man sagen, dass wir oft von Mikro-Stromausfällen geplagt sind. Das verträgt vor allen Dingen ein geöffnetes Outlook gar nicht. Von dem Outlook bekomme ich ihn auch noch eines Tages weg – eine Web-basierte Lösung auf dem Server wäre wesentlich sinnvoller. Aber alles zu seiner Zeit – nächster Meilenstein -> April.




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12 Kommentare zu “Nerds sind plötzlich “in”, aber keiner will sie?”

  1. rob says:

    Schöner Artikel, weiß was Du meinst.

  2. ConnyLo says:

    Yep, das kann ich gut nachvollziehen.
    Das Adminbild als devoter Bediener ist mir auch bekannt. Mit guter & zuverlässiger Arbeit kann man allerdings Respekt erlangen. Wenn nicht, dann muss man seine Wirkungsstätte in Bereiche verlagern, wo die Arbeit geschätzt wird - logisch das!
    Bin gespannt über Berichte im April 2014, wie der Wechsel der Systeme (XP->Xubuntu) bei Dir läuft. Wir haben hier ein Experiment mit Linux Mint gestartet und es läuft recht gut.

    • jdo says:

      ich würde ebenfalls wahnsinnig gerne Linux Mint nehmen. Allerdings brauchen die in der Regel einen Monat länger als Ubuntu mit ihren neuesten Versionen. Das ist mir aber eigentlich zu spät, weil der Support für XP im April ausläuft. Mir ist xUbuntu 14.04 schon gut spät dran. Vielleicht nehme ich auch Precise-Basis. Die Rechner sind so alt, dass sie das Jahr 2017 eh nicht mehr erleben.

      Problem ist halt, dass es da um ein Business geht. Da bin ich lieber etwas konservativer. Im Endeffekt lass ich die das selbst entscheiden - auch zwischen xUbuntu / Linux Mint und openSUSE.

      • ConnyLo says:

        Wir haben jetzt 12.04 alias Linux Mint 13 LTS in Betrieb inklusive Backports und warten in Ruhe mit Umstellung auf die nächste LTS. Die User waren XP gewöhnt und empfinden das Linux Mint als modern (ist halt viel Eyecandy im Spiel).

        • jdo says:

          Cool ... darf ich fragen in welchem Rahmen ihr die Umstellung vornehmt? Also wie viele Rechner und wo wird das eingesetzt? Ist aber nicht schlimm, wenn das ein Geheimnis ist. 🙂

          • ConnyLo says:

            Das "Experiment" hat sich in unserer Schulbibliothek mit 8 PCs abgespielt (Netzwerk Windows 2003 Server). Geplant ist insbes. in Hinblick auf 04/2014 so weit als möglich andere XP-Rechner (von CoreDuo2 bis i5) umzustricken auf Linux. Das werden dann cirka 40 bis 50 Einheiten.

            Eine Problemzone wird die Frage wg. Weiterverwendung von Win-Software. Office-Sofware wurde weitgehend ersetzt durch OO und LO. Aber die kleinen Lernprogramme, die selbst schon auf WinXP unstabil laufen, die werden vielleicht Probleme machen.

          • jdo says:

            Tolle Sache. Das mit der Windows-Software kann ich mir vorstellen. Dazu fiele mir auch nur Wine ein..

      • Georg says:

        XP sollte man eigentlich erst ersetzen müssen, wenn die ersten schweren Sicherheitslücken auftauchen, die garantiert nicht mehr gepatcht werden. Das kann auch noch einige Wochen bis Monate dauern. Und selbst danach wäre das System noch benutzbar, wenn man den anfälligen Teil des Systems über nLite entfernen könnte. Ob man ein MS-System überhaupt noch verwenden will, ist aber eine andere Frage.

        Dass "Nerd=komisch" auch heute noch eine verbreitete Ansicht ist, macht mir Kopfschmerzen. Was ist für unser tägliches Leben inzwischen bedeutsamer, der Privatwagen oder die digitalen Medien? Es ist für uns selbstverändlich, dass wir vor dem Auto fahren einen Führerschein machen. Aber in Sachen Technik stellt sich jeder gerne doof und delegiert das Denken an "Nerds", die für diese Fähigkeit auch noch schief angeschaut werden. Botnets, die meisten erfolgreichen Firmen-Hacks, BSI-Trojaner, der ganze NSA-Bullshit...das liegt eigentlich größtenteils daran, dass da Leute mit einer mächtigen Technologie rumspielen ohne die Bereitschaft, wenigstens die notwendigsten Grundlagen begreifen zu wollen.
        Um sich darüber zu ärgern, muss man nicht erst SPON lesen (die Communities auf solchen Seiten sind eh meist auf Golem- oder Heise-Niveau). Wer kennt es denn nicht, dass z.B. jemand ein Handy kaufen möchte und der "Nerd" dafür ausgequetscht wird? "Das neue von LG" soll ganz toll sein! Habe ich gehört! Aber das Modell wird partout nicht genannt, da soll der Nerd auch noch selber googeln müssen, was ich eigentlich meine. 😉

        Als was arbeitest du denn eigentlich, wenn ich fragen darf? Ich habe da etwas von Ägypten und Tauchen im Kopf... 😀

        • jdo says:

          Du darfst. Hier repariere ich dann und wann Rechner, helfe Leuten mit ihren Websites und was halt so anfällt. Ich habe zwar eine Tauchlehrer-Lizenz, arbeite aber nicht mehr als solcher. Vielleicht irgendwann mal wieder, wer weiß.

          Außerdem bin ich Söldner (Freiberufler) für diverse Verlage (Print und Online).

  3. […] Nerds: Komisch wie immer, aber wichtig wie nie » […]

  4. Tux says:

    Ein schöner Artikel, danke dafür!

    Was die älteren Rechner angeht, wird es dann wohl am ehesten auf Xubuntu oder Lubuntu hinauslaufen, damit man damit noch fließend arbeiten kann, oder?