#hartaberfair gestern Abend – machen Smartphones dumm und krank – ganz schwache Wider-Seite

2 Kommentare Autor: Jürgen (jdo)

Ich schaue relativ selten fern, da ich mich ganz anders wesentlich spannender verblöden kann. Aber gestern nach dem Relegationsspiel zwischen dem Club und Frankfurt (Glückwunsch an die Hessen), blieb ich bei Hart aber Fair hängen. Das Thema Immer Online – Machen Smartphones dumm und krank interessierte mich dann schon sehr.

Bei dieser Sendung musste ich mich allerdings so richtig ärgern – aber so richtig. Die Wider-Seite hätte man sich fast komplett sparen können, einzig Ranga Yogeshwar war  tragbar oder erträglich, da er eigentlich die goldene Mitte beworben hat. Er saß wohl nicht ganz ungewollt in der Mitte. 🙂

Ich als totaler Technik-Freak oder -Fan muss Herrn Professor Manfred Spitzer in allen Punkten zustimmen, da er als einziger mit wissenschaftlichen Studien und nicht mit aus der Luft gegriffenen Thesen argumentiert hat, die einem gerade so passen. Da hätte ich von einer Mitarbeiterin der ARD mehr erwartet. Ich spreche hier von der Social-Media-Volontärin (was auch immer das sein soll) Duygu Gezen, deren größte Errungenschaft der Sendung war, gefühlte 30 Mal den Begriff iPhone in einem Satz unterzubringen. Oder ihre unglaublich starke Argumentation Bei mir besteht da keine Gefahr (ist das nicht auch eines der Argumente von Alkoholikern oder anderen Süchtigen?). Passt auf jeden Fall zu Social Media, bei dem die eigene Person mit Selfies und Guck mal, was ich zum Frühstück habe im Vordergrund steht. Es ging aber nicht um sie persönlich, Frau iPhone  äh Gezen, sondern um medizinische Bedenken, wenn die Kinder nicht mehr draußen spielen und aktiv das Gehirn ausbilden, sondern nur noch reagieren und wischen.

Professor Spitzer warnte in erster Linie bei Kindern vor medizinischen Schäden, die belegt sind. Das sind auf der physischen Seite Haltungsschäden und Kurzsichtigkeit und auf der psychischen Seite Apathie oder nur noch reagieren und nicht mehr selbst agieren bei der Benutzung eines Tablets oder Smartphones (iPhones, damit es Frau Gezen auch versteht). Das Gehirn will durch einen Forscherdrang ausgebildet werden und nicht durch Dauerbeschallung aus dem Internet. So weit ich das verstanden habe, ist das menschliche Auge so konzipiert, dass es sich bei Entspannung in die Ferne orientiert. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn die Glotze dauernder Begleiter ist. Die Dosis macht das Gift, sagt er im Laufe der Sendung. Laut einer Studie schadet übermäßige Nutzung digitaler Dauerbeballerung nachweislich sogar noch 16-jährigen. Das finde ich beängstigend.

Eines seiner Argumente aus Sicht de Gehirnforschers fand ich unglaublich ansprechend: Um mit dem größten Tatort der Welt, dem größten Rotlichtbezirk der Welt, dem größten Tummelplatz für jeden Abzocker … vernünftig umgehen zu können, muss ich zunächst etwas von der Welt wissen und auch ein entsprechend ausgebildetes Gehirn haben. Er meinte damit natürlich das WWW (World Wide Waste). Das Wissen müsse aber erst mal in den Kopf und durch Bücher lerne man nachweislich besser als durch Google und deswegen brauche man Bücher und nicht Google in der Schule.

Dabei ist er nicht gegen Technik im Allgemeinen, da ohne sie moderne Medizin gar nicht möglich ist. Im Endeffekt hat er lediglich davor gewarnt, dass es nicht gut ist, wenn ein Mensch dauernd mit irgendwelchem Mist zugeballert wird.

Ich melde mich seit einigen Monaten schon nicht mehr auf Facebook an, sondern habe nur den Messenger am laufen, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Mir geht es tatsächlich wesentlich besser, da ich mich nicht mehr über die auch in der Sendung angesprochenen Nicht-Meldungen ärgern muss. Das sind die Dinger, die informieren, ob man nun zum Frühstück Kaffee oder Tee zu sich genommen hat.

Ich stimme Herrn Yogeshwar schon zu, dass Kinder in der heutigen Zeit lernen müssen, mit solchen Meldungen umzugehen, beziehungsweise mit der Tatsache, dass auf Facebook oder Social Media jeder nur toll dastehen will und man sich selbst klein und unbedeutend vorkommt. Depression ist in der Talkrunde in diesem Zusammenhang gefallen und ich glaube das auch. Der Filter muss wohl ausgebildet werden, aber das ist wohl einfacher gesagt als getan.

Natürlich hat auch Herr Thelen recht, wenn er sagt, dass Kinder programmieren lernen sollten. Dass dies aber die Fremdsprache von morgen ist, dem kann ich nicht ganz zustimmen. Vor allen Dingen war dies auch das einzige Argument des Unternehmers, der mit dem Internet sein Geld verdient. Dass er Immer Online nicht verteufelt – hmmm … wie kommt es. Ein bisschen verloren hat er schon ausgesehen und er ist auch der einzige, der auf der Startseite der Sendung nicht erwähnt wird – völlig zurecht, wie ich finde. Unbedeutendes Geschwafel und null Argumente. Er hat eigentlich nur immer gesagt, dass Kinder programmieren lernen müssen und Tablets oder Smartphones konfigurierbar wären. Stimmt – aber das ist teilweise so komplex oder die Funktionen sind gewollt so versteckt, dass sogar ausgewachsene Technik-Fans gut suchen müssen. Online sein ist Bargeld für manche und die werden versuchen, Dich so lange und oft wie möglich online zu halten.

Hart aber Fair: Wer nichts zu sagen hat, wird auch nicht erwähnt? Herrn Thelen finde ich nicht ...

Hart aber Fair: Wer nichts zu sagen hat, wird auch nicht erwähnt? Herrn Thelen finde ich nicht …

Da war Herr Yogeshwar mit seiner Erwähnung von Scratch schon wesentlich besser, da sich die Anwendung tatsächlich eignet, Kinder zu fördern. Dazu müsste ich aber auch kein Tablet oder Smartphone haben, denn Scratch läuft sogar auf einem Raspberry Pi. Dass mit einem mobilen Gerät dann mehr als Scratch gemacht wird, dürfte auch jedem klar sein.

Ich kann jedem Technik-Fan die Sendung empfehlen, denn sie hat mich bei meiner Lebensweise bestärkt. Ich mag Technik, ich mag mein Smartphone (ja, das ist so etwas wie ein iPhone Frau Gezen), auch mein Tablet – aber dann gibt es Momente, wo das Ding einfach nur stumm geschaltet wird. Ich kann es tatsächlich nicht ausstehen, wenn mich das Smartphone dauernd mit Geblinke und Gepiepse stört, weil irgendwer irgendwo einen Furz gelassen hat. Außerdem lasse ich mir meinen Alltag nicht von meinem Android-Gerät mit installiertem Android vorschreiben, denn ich habe außer dem Android-Leben auch ein Leben außerhalb von Android. Das war nun mein Versuch, so viele Androids wie möglich in einem Satz unterzubringen. 🙂

Technik ist toll und ich liebe es damit zu spielen. Ebenso erleichter Technik und ein Smartphone das Leben in bestimmten Szenarien das Leben ungemein, das kann und will ich nicht abstreiten. Aber das dauernde in den Bildschirm Gestarre geht mir wirklich tierisch auf den Sack. Leute haben laut eigenen Aussagen Angst, etwas zu verpassen. Das tut ihr auch, nämlich das eigene Leben – meine Meinung. Stell die Scheiß-Kiste einfach ab und zu ab oder nimm sie nicht mit in die Kneipe oder nicht mit nach draußen. Ich mache das so und seitdem geht es mir deutlich besser.

Am Schlimmsten auf der Wider-Seite fand ich, dass sie aus einer Sichtweise argumentieren, die sie nicht mitgemacht haben. Da sie erst sehr viel später in ihrem Leben in den Genuss eines Smartphones gekommen sind, argumentieren sie eigentlich ohne Erfahrung über die junge Generation und versuchen sich gegen anerkannte Studien zu stellen, dass übermäßige Nutzung wesentlich gefährlich ist als man es glauben mag. Die Wider-Seite hat meiner Meinung nach überhaupt nicht argumentiert, sondern reines Wunschdenken von sich gegeben. Genau das hat mich so unglaublich geärgert.

Das hier fand ich auch noch sehr schön und treffend. Es passt zu einer weiteren von Professor Spitzer erwähnten Studie, dass bei Smartphone-Verbot in Schulen vor allen Dingen schlechtere Schüler am meisten profitieren. Wissen und Vorwissen seien ein wichtiger Filter.

Treffend

Treffend

Frau Breymaier durfte auch nicht viel sagen. Sie war in erster Linie da, um zu mahnen, dass Feierabend auch Feierabend bedeutet und man nicht 24 Stunden am Tag erreichbar sein muss. Wichtig und interessant, ging aber etwas unter zum Ende der Sendung. Herr Thelen hatte als Unternehmer auch hier das schwächere Argument, wie ich finde. Frau Breymaier hat wahrscheinlich recht, dass sich Mitarbeiter mit einem befristeten Vertrag oder Freelancer gar nicht erst trauen, das Smartphone abzustellen, aus Angst Arbeit verpassen zu können. Genau diese Angst nutzen Unternehmer wohl auch aus – kann ich nicht beweisen, bin ich mir aber relativ sicher. Es wurde eine starke Zunahme von Burn Outs erwähnt – das glaube ich auch. Persönlich macht es mir als Freelancer nichts aus, wirklich ein paar Tage hintereinander voll durchzuklotzen. Da sind mir auch 14 oder 16 Stunden egal. Nach so einer Periode nehme ich mir dann aber bewusst frei. Ich gehe Tauchen, bespaße mich mit meiner Kamera und so weiter.

Die Sendung kannst Du hier ansehen, solltest Du sie verpasst haben. Das lohnt sich, finde ich.




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2 Kommentare zu “#hartaberfair gestern Abend – machen Smartphones dumm und krank – ganz schwache Wider-Seite”

  1. Marcel R. says:

    Gutes Kommentar auf eine Sendung, die ich nicht gesehen habe aber nun auch nicht mehr muß. Danke! 😉

  2. Rayman says:

    Interessantes Thema. Ich selbst habe noch kein Smartphone (ja, solche Leute gibt es wirklich noch). Mich befremdet es immer, wie viele Leute fast pausenlos an ihren Geräten kleben, sogar während Unterhaltungen. Letzteres finde ich extrem unhöflich.

    Gestern habe ich einen sehr aufschlussreichen Artikel gelesen, der das Thema hier ergänzt (lohnt sich!):
    https://medium.com/@tristanharris/how-technology-hijacks-peoples-minds-from-a-magician-and-google-s-design-ethicist-56d62ef5edf3#.y5g04rgx3