Ägypten: Die haben einfach den Internet-Hauptschalter gezogen

2 Kommentare Autor: Jürgen (jdo)

Ägypten Flagge 150x150Ich befinde mich ja derzeit in Ägyten, wo es momentan heiß her geht, wie aus den Medien bekannt sein sollte. Im Beduinen-Dorf Dahab im Süd-Sinai ist wenig von den Straßenschlachten aus Kairo spürbar. Es laufen lediglich überall die Bilder des Fernsehsenders Al Jazeera. Ich will hier gar keine politische Ansprache halten, sondern die Geschichte aus meiner Sicht und über die Kommunikations-Blockade erzählen. Das ist sozusagen mein kleines Tagebuch.

Donnerstag 27.01.2011

Facebook und Twitter sind am Nachmittag plötzlich zeitweise nicht mehr erreichbar. Freunde rufen den „Nerd in Town“ an und fragen um Rat. Schneller Lösungs-Ansatz ist natürlich der kostenlose Anonymisierungs-Dienst „The Onion Router“ (TOR). Zeitweise etwas zäh, funktioniert aber und einige Facebook-Süchtige sind zunächst wieder glücklich.

Am späten Nachmittag funktioniert Facebook wieder normal, Twitter hat ohne TOR oder VPN jedoch immer wieder massive Aussetzer. Am frühen Abend wird der Spuk schlimmer, denn die Regierung hatte offenbar angeordnet, das Senden von SMS-Nachrichten zu blockieren. Telefonieren geht hier in Dahab noch, allerdings nicht mehr in Kairo. Gegen Mitternacht legt die Regierung dann den Haupschalter um und Internet-Zugriffe sind nicht mehr möglich.

Freitag 28.01.2011

Das Gateway des Providers ist pingbar, alles andere ist tot. Ein Traceroute endet ziemlich schnell – das Internet ist komplett deaktiviert. Die einzigen Informationen kommen nur noch über das Fernsehen. Auch Al Jazeera hat wohl Schwierigkeiten, weil die Live-Bilder am Freitag-Nachmittag plötzlich nicht mehr kommen und Informationen wesentlich spärlicher fließen. Wir wissen hier nur, dass es heftige Straßenkämpfe in Kairo und anderen Städten in Ägypten gibt. Ich versuche Freunde in Kairo zu erreichen, aber es funktioniert nicht. Nach mehreren Versuchen kann ich dann nach Deutschland telefonieren und einige Menschen beruhigen. Ich erfahre auch, dass mehrere Menschen versuchten, mich via SMS zu erreichen, es kam aber nichts an.

Eine Bekannte versucht die deutsche Botschaft zu erreichen, sich nach der Lage erkundigen und Ratschläge holen. Nach mehreren Versuchen nimmt einer ab und sagt, dass alle im Wochenende seien und sie solle am Montag wieder anrufen. Ah, genau – Kairo brennt aber unsere Damen und Herren von der Botschaft sind im Wochenende. Die Eidgenossen aus der Schweiz hatten die Botschaft besetzt und rieten, sich Essen und Wasser auf Vorrat einzukaufen.

Als ich am Abend mit Freunden in einer Bar, der Haupt-Treffpunkt am Abend der hier Ansässigen, sitze, merkt man deutlich, dass die Kommunikations-Blockade Wirkung zeigt. Touristen sehen die Bilder im Fernsehen und fragen, wo die Straßenschlachten wären. Als ihnen bewusst wird, dass sie sich gerade im selben Land befinden, sind die meisten doch sichtlich schockiert und besorgt. Auf Nachfrage bei den Ansässigen können wir sie erst einmal beruhigen, dass Krawalle in dem verschlafenen Touristen-Nest eher unwahrscheinlich sind. Der Zorn richte sich gegen die Regierung und nicht gegen Touristen. Die nationale Ausgangssperre gilt für hier theoretisch auch, aber es interessiert hier eher weniger.

Samstag 29.01.2011

Gegen Mittag heisst es in Al Jazeera, dass das Mobilfunknetzwerk in Kairo wieder geöffnet ist. Somit kann ich meine Freunde erreichen und mich um deren Wohlbefinden erkundigen – alles gut. Das Internet ist immer noch komplett deaktiviert. Verlässt man das Haus, ist es zwar ruhig, aber man spürt die angespannte Stimmung. Um genau zu sein, ist es fast ein bisschen zu ruhig.

Im Supermarkt an der Ecke schaut der Besitzer fern. Allerdings irgendwelche arabischen Seifenopern. Auf Nachfrage, ob ihn die Vorgänge in Kairo nicht interessieren antwortet er, dass er von der Polizei eine Anweisung erhielt, etwas anderes anzusehen.

Gespräche mit meinen Ägyptischen Freunden ergeben, dass die Proteste nichts mit Religion zu tun hätten. 30 Jahre seien einfach genug. Man habe die Schnauze gestrichen voll von Korruption, der Willkür des Ägyptischen Sicherheits-Apparats und der Unterdrückung des Volkes. Die Polizei darf zum Beispiel jeden Ägypter einfach verhaften und ??? Stunden ohne Angabe eines Grundes festhalten. Vielen Touristen ist nicht bewusst, dass sich Ägypten seit Jahren im Notstand befindet. Es gibt hier zum Beispiel studierte Anwälte, die als Tauchlehrer arbeiten, weil sie die falschen Menschen unterstützt oder verteidigt, oder einfach zur falschen Zeit den Mund aufgemacht haben. Am Samstag tritt das Ausgangsverbot um 16 Uhr in Kraft. Es bedeutete, dass Menschen, die das Ausgangsverbot missachten, theoretisch erschossen werden dürfen. Die Stimmung sank auch hier unter den Ägyptern, weil die Bilder im Fernsehen immer mehr Tote Menschen zeigten. Wir befinden uns in der Zwischenzeit im Ausnahmezustand.

Ich bin kein ängstlicher Mensch, folge aber dem Rat der Schweizer Botschaft und gehe etwas shoppen. Hauptsächlich Nudeln, haltbare Nahrungsmittel und Katzenfutter kommen in den Rucksack. Frisches Obst und Gemüse kann auch nicht schaden, so lagen es noch da ist – man weiß ja nicht. Letzten Informationen zu Folge ist die Straße am Suez noch offen. Das Problem hier ist, dass wir nur Wüste um uns haben und auf Lieferungen von Nahrungsmitteln angewiesen sind. Dahab steht mit Sicherheit am Ende der Lieferkette im Sinai. Wegen Wasser bin ich weniger besorgt. Im schlimmsten Fall muss ich eben Wasser aus dem Brunnen im Garten abkochen.

Sonntag 30.01.2011

Eben rief mich ein Freund an, ob ich die News schon gesehen hätte. Die Armee sei laut Al Jazeera in Sharm El Sheikh eingetroffen. Nun ist die Krise plötzlich sehr nah und nur noch 70 Kilometer entfernt. Warum die Armee in Sharm eintraf ist unklar. Ob sie Touristen-Gebiete beschützen wollen oder sich sogar Mubarak in Sharm befand konnte Al Jazeera nicht sagen. Vielleicht ist es wirklich nur Vorsorge, dass sich keinen Plünderungen wie in Kairo ereignen. Israel hat bekundet, die Situation mit Argus-Augen zu beobachten. Ich kenne das Abkommen zwischen Ägypten und Israel nicht ganz genau, glaube aber zu wissen, dass sich nur eine bestimmte Anzahl an Sicherheitskräften und Armee im Sinai befinden dürfen.

Die meisten Geldautomaten sind abgeschaltet. Ich finde noch einen funktionierenden und kann meine Bargeld-Reserven etwas aufbessern. Am Nachmittag erfahre ich dann, dass andere nicht mehr so viel Glück haben und kein Automat mehr Geld ausspuckt.

Der Vermieter eines Freundes sagte, dass die Polizei alle Checkpoints im Sinai verlassen hat. Dafür hätten Beduinen diese Prüfstationen übernommen. Das ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. Man wolle hier keinen Ärger, fürchte sich vor Plünderern und anderen kriminellen Übergriffen. Am Abend gibt es nun unterschiedliche Informationen wegen Militär in Sharm El Sheikh. BBC News berichtet, dass ein sich dort befindlicher Journalist keine Armee gesehen hätte und es ist alles ruhig. Augenzeugen, die am Nachmittag aus Sharm zurück kamen berichten anderes. Die Armee sei da, aber nicht sehr präsent.

Ein Freund erzählt, dass die Obst-Geschäfte bis auf Kartoffeln leer gekauft sind. Die Hamsterkäufe zeigen Wirkung. Ein anderer Freund aus Schottland sollte eigentlich heute Nachmittag nach Hause fliegen. Seine Ex-Freundin inklusive Sohn leben aber immer noch hier. Er hat seinen Flug verfallen lassen, weil er sein Kind nicht allein lassen kann, sagt er. Es wird viel spekuliert und immer wieder schneien Gerüchte herein. Da wir immer noch dem Internet-Bann unterliegen, bekommen wir weiterhin nur Informationen aus dem Fernsehen. Wir scherzen aber auch, was der höhere Sinn ist, Kampf-Jets über Kairo kreisen zu lassen: „Wahrscheinlich muss das Monats-Budget an Benzin noch am vorletzten Tag im Januar verbraucht werden“, einigen wir uns. Ein anderer Bekannter erzählt, dass einige Ägypter auf dem Marktplatz mit einer Flagge ebenfalls ihren Unmut gegen das Mubarak-Regime zum Ausdruck bringen wollten. Das dauerte laut Aussage meines Bekannten nicht lang, weil diesen von einigen Beduinen erzählt wurde, dass Dahab ein kleines ruhiges Dorf sei und das auch so bleiben soll.

Montag 31.01.2011

Al Jazeera berichtet, dass einige Gruppen zu einem nationalen Streik aufrufen und es noch keine Anzeichen gibt, dass Mubarak den Forderungen seines Volkes entsprechen will. Sollte es so weit kommen, werden keine Lieferungen mehr eintreffen. Ich ziehe noch mal los und stocke meine Wasservorräte auf 50 Liter Trinkwasser auf. Das Angebot in den kleinen Tante-Emma-Läden ist sichtlich geschrumpft. Es wandern nochmals einige Nudeln in meinen Rucksack und ich kann noch eine Packung Feta-Käse ergattern. Es ist immer noch ruhig auf den Straßen und es gibt keine sichtlichen Anzeichen der Krise. Es ist aber definitiver ruhiger als sonst. Keine hupenden Taxis und kaum Menschen auf den Straßen.

Touristen scheinen nicht Panik das Land zu verlassen hier. Man sieht immer noch Taucher ins Wasser gehen und Leute setzen ihre Ferien fort. Ansässige hier geben sich besorgt, wie die nahe Zukunft aussieht. Der Tourismus ist absolut wichtig für diese Region hier. Daher möchte ich noch einmal betonen, dass sich der Zorn nur gegen die Regierung richtet und die Einheimischen sehr freundlich mit uns Auswärtigen umgehen.

Ich liebe die BBC-News und das britische Englisch: „Mubarak verhalte sich wie eine sture alte Frau, die die Nachricht einfach nicht verstehen will.“ Ich ertappe mich bei den Gedanken, das Gemüse im Kühlschrank zu konservieren und einzufrieren. Ich verwerfe den Gedanken wieder und besinne mich darauf, dass wir hier doch vorerst relativ sicher sind.

Etwas beruhigend ist die Ankündigung der Armee, dass sie auf gar keinen Fall auf die eigenen Leute das Feuer eröffnen würden. Sie wären im Moment da, um die Sicherheit der Demonstranten zu gewährleisten, öffentliche Einrichtungen zu schützen und Sabotage zu verhindern.

Dienstag 01.02.2011

Heute ist ein kritischer Tag, da zu einem Protest aufgerufen wurde, dem eine Million Menschen folgen sollen und man wolle Richtung Präsidentenpalast demonstrieren. Ich schließe mich am Morgen mit Freunden kurz, die eine Reiseagentur betreiben. Sie erzählen, dass es an der Tankstelle kein Benzin mehr gibt. Außerdem haben Sie gestern Urlauber aus den Niederlanden nach Sharm El Sheikh gebracht, weil sie ausgeflogen werden sollen. Interessant fand ich, dass die Urlauber gar nicht nach Hause wollten. Wie schon erwähnt, ist es hier sehr ruhig. Mein Freund hat mit der Deutschen Botschaft telefoniert und auch da gab es Entwarnung, dass die Gegend um Sharm El Sheikh sicher ist.

Ein anderer Freund erzählt, dass die Polizei gemeinsam mit den Beduinen an den Checkpoints arbeiten. Die einheimischen Familien wissen, wer hier wohnt, wer nicht und wer Unruhe stiften könnte, die in Dahab alles andere als erwünscht ist. Lustig finde ich die Geschichte, dass ein Beduine den Checkpoint verlassen wollte und den Polizisten gesagt hat, dass in wenigen Minuten seine Ablösung eintrifft. Die Polizei bat ihn angeblich zu bleiben, bis die Ablösung auch wirklich da ist.

Die Bilder von Al Jazeera am Nachmittag von Tahrir Square sind beeindruckend. Angeblich haben sich weit mehr als eine Million Menschen in Kairo zusammengeschlossen und protestieren gegen Mubaraks Regime. Viele der Interviews geben preis, dass sich nach der klaren Aussage der Armee, auf friedliche Demonstrationen nicht mit Gewalt zu reagieren hat auch ängstliche Bürger auf die Straßen getrieben. Nun muss auch dem Letzten klar sein: Je länger Mubarak das Zepter nicht aus der Hand gibt, desto mehr schadet er seinem Land und seinem Volk. Stell Dir vor es ist Ausgangssperre und keiner geht heim! Mir wird bewusst, dass ich mich in einem Land befinde, das gerade wieder Geschichte schreibt.

In Dahab bereiten wir uns auf eventuellen Regen vor. Es hatte in den letzten Wochen schon zwei Mal heftig geregnet, was sehr ungewöhnlich ist. Die meisten Dächer sind nicht besonders dicht und gerade elektrische Geräte müssen daher in Sicherheit gebracht werden.

Am Abend wird eine Ansprache von Mubarak erwartet. Sehr viele Leute sind sich sicher, dass er seinen Rücktritt ankündigt. Allerdings will er immer noch nicht abtreten, sondern lediglich bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Viele Leute sind verärgert und wir rechnen weiter damit, dass die Internet-Restriktionen anhalten. Die Live-Bilder aus Alexandria, wo gerade Pro- und Anti-Mubarak-Truppen kleinere Kämpfe beginnen bestätigen dieses Gefühl.

Mittwoch 02.11.2011

Auf den Straßen ist es weiterhin sehr ruhig, da kein Benzin mehr an den Tankstellen ist und die Autos nur noch die nötigsten Strecken zurücklegen.

Mich ruft gerade ein Freund an, der einem Vodafone-Surfstick besitzt und berichtet, dass sein Internet gerade wieder angesprungen ist. Meines ist über eine Telefonleitung angebunden und funktioniert weiterhin nicht. 15 Minuten später meldet mein Dauer-Ping plötzlich eine Antwort. Was gestern Nacht noch sehr unwahrscheinlich war, ist plötzlich (10:45 MEZ) eingetroffen. Wir sind wieder Online – die Krise ist aber alles andere als vorbei.

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2 Kommentare zu “Ägypten: Die haben einfach den Internet-Hauptschalter gezogen”

  1. Peter says:

    Danke für deinen ausgewogenen Bericht ...

    den ich voll bestätigen kann, bin ich doch seit einer Woche in Nuweiba, etwas nördlich von Dahab. Hier ist es immer schon ruhiger als in Dahab und dieser Tage noch viiel ruhiger ...
    Die Beduinen/Polizei Geschichte scheint unglaublich, lässt sich aber auch hier verifizieren.

    Es ist viel Hoffen in der Bevölkerung, dass sich die Situation zum Guten wendet und die Dauermisere durchbrochen werden kann.

    • jdo says:

      Danke für die Bestätigung 🙂

      Hier in Dahab ist heute sogar Benzin eingetroffen. Freunde haben mir von Schlangen an der Tankstelle berichtet. Das macht die Lage eigentlich noch entspannter.

      Vielleicht sollten wir mal hier nen Film machen, damit die stornierenden Paniker mal die Realität hier im Süd-Sinai sehen und nicht nur rollende Panzer und Steine-werfende Demonstranten. Der Film wird bloß nicht sehr spannend, so ruhig ist es hier.